Auslegung von Hiob 29,1-20 (Heft 10)

Bevor wir zum Thema übergehen, sollen gewisse Grundlagen vorab aufgezeigt werden, die uns das Verständnis der biblischen Weissagungen eröffnen.

1.) In Jes.14,4 wird vom König von Babel ausgegangen, aber ab Vers 12 wird nur noch von Satan geschrieben. Wir haben es hier mit einem Wesenszug der Weissagung zu tun. 2.) In Hes.28,1+12 wird vom Fürsten (König) von Tyrus ausgegangen, aber vom gleichen Vers 12 an wird nur noch vom Satan geschrieben. Es ist ein Wesenszug der Weissagung. 3.) In Hiob 29 wird von Hiob ausgegangen, aber die interne Geschichte des Herrn Jesus behandelt, was einen tieferen Wesenszug der Weissagung darstellt.

Die Persönlichkeitserklärung Jesu

Es ist nicht leicht, etwas über die Person Gottes zu sagen, was Seine verborgenen Wesenszüge erklären soll. Mit des Herrn Hilfe wollen wir solches versuchen, um dem interessierten Leser Hilfe zu sein. Gott kann sowohl nach Seiner Person als auch nach Seiner Stellung und Funktion angesprochen oder verstanden werden. Da die Bibel dies kennt und tut, liegen wir richtig, wenn wir uns der schriftgemäßen Aussagen bedienen. Personifiziert haben wir in der Trinität Vater, Sohn und Heiligen Geist. Der Vater ist der Inhaber aller Macht und des Lebens. Bevor der Vater den Sohn zum Erben aller Dinge machte (Hebr.1,2), hatte der Vater alles das in Seiner Hand. Hierzu gehört auch alle dem Sohn gegebene Gewalt im Himmel und auf Erden (Matth.28,18). Der Vater hatte Leben in Sich Selbst und hat „auch dem Sohne gegeben, Leben zu haben in sich selbst" (Joh.5,26). Weiter hat ER (der Vater) IHM (dem Sohn) Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten (Joh.5,27). Als Erbe aller Dinge hat der Sohn alles in Seine Hände bekommen. Obgleich ER der Sohn Gottes war, wurde ER Seiner Fleischwer-dung wegen der Sohn des Menschen. Weil IHM alles Gericht

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übergeben ist, kommt ER als Richter. Weil ER im Millennium über das Königreich herrscht, ist ER auch König. Weil ER die Erde erschaffen hat, ist ER der Schöpfer (Kol.1,16). Weil ER für uns an das Kreuz gegangen ist, wurde ER der Erretter.

Über den Heiligen Geist kann gesagt werden, daß ER der Tröster ist, weil ER uns tröstet. Weil ER uns in die Wahrheit führt, ist ER der Geist der Wahrheit. Gläubige, die mit der Stellung und der Funktion der Personen innerhalb der Gottheit nicht zurechtkommen, reden dann schnell unrichtige Dinge. Zum Beispiel wird gesagt, der Vater habe den Sohn am Kreuz verlassen. Das ist absolut unwahr.

1.) Es steht geschrieben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Matth.27,46) Es steht nicht geschrieben: Mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen?

2.) Es steht geschrieben: „Denn der Vater richtet auch niemand" (Joh.5,22). Das Verlassen des Sohnes in Seiner ärgsten Stunde wäre vom Vater her Gericht gewesen.

3.) Der gerichtsübende Gott, nicht der Vater, hat den Sohn ins Gericht gebracht, weil der Christus unsere Sünden auf Sich nahm (Ps.89,38). Der Vater kann nicht den Sohn senden, und IHN dann zusammenschlagen. Das geht nicht, denn das wäre Falschheit. Deshalb lesen wir schon im Schattenbild Golgathas von Abraham und Isaak: „sie gingen beide miteinander." Der Weg des Sohnes war auch der Weg des Vaters.

Auch wenn Sein irdischer Name „Jesus" ist, war ER immer schon der Sohn Gottes. Seine Fleischwerdung hängt mit dem Titel „Sohn des Menschen" zusammen. Seine Erniedrigung ins Fleisch mit allen Leiden und dem Sterben befähigte IHN nach des Vaters Willen, das neue, himmlische Geschlecht der Familie Gottes zu gründen. Christus ist damit die Hoffnung des Vaters.

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Der Vater wird IHN als den zweiten Adam vom Himmel in die Erbschaft Gottes einführen. Mit IHM sind wir das „geistliche Geschlecht des neuen Menschen".

Die Mitteilung Hiobs zeugt darum im Wechselspiel der Weissagung zum Teil von Hiobs Leben, im wesentlichen aber steht der herrliche Name Jesus im Mittelpunkt des Kapitels. Auch die historischen Zusammenhänge Seiner Gottessohnschaft finden wir in dieser Weissagung enthalten – selbst den Anfang vor der Fleischwerdung Jesu.

Aus diesem Grunde soll nicht der Weg Hiobs, sondern der Weg des fleischgewordenen Wortes der Gegenstand unserer Auslegung sein. Auch ist daran gedacht, bei der Auslegung selbst versweise vorzugehen.

Exegese von Hiob 29,1-20

Vers 1: Wie bereits im Vorwort erwähnt, ist der „Spruch" Hiobs eine Weissagung. Denn inhaltlich ist Hiob nie der Autor dieses Kapitels. Auch bleibt die Frage offen, ob und inwieweit Hiob selbst diese Schau verstanden hat. Der Sinn der Wortformulierungen ist weit verborgener als bei manchen Leidensankündigungen über den Christus in den Psalmen Davids. Daher wird es für etliche der Geschwister schwerer, den Ausführungen so zu folgen, wie wir es bislang kennen. Der vorgegebene Text ist eben nicht leicht.

Vers 2: „O daß ich wäre wie in den Monden der Vorzeit, wie in den Tagen, da Gott mich bewahrte." Gehen wir davon aus, daß Hiob diesen Ausspruch wegen seiner Krankheit tat, so waren die Leiden unseres Herrn weit, weit schlimmer, welcher der ganzen Welt Sünden trug. Hiob war weder von Gott noch von seinen Freunden verlassen (denn sie kamen zu ihm, wenn-

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gleich ihr Trost mehr Anklage war, und Hiob in Kap.16,2 sagen muß: „leidige Tröster seid ihr alle!") Aber unser Herr mußte erleben: „Da verließen ihn die Jünger alle und flohen" (Matth.26,56). Und nach Matth.27,46 hatte Gott IHN verlassen. Hiob sehnte sich zurück nach den Tagen, da Gott ihn bewahrte. Wer von uns würde dies in ähnlicher Situation nicht auch tun? Hiob brauchte in seiner Not nicht zu sterben, wohl aber unser Herr. Es war immer noch ein gewaltiger Unterschied zwischen den beiden von Jak.5,11. Rief doch der Herr in Seiner Todesnot, in Seiner Schwachheit als Mensch, aus: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst" (Matth.26,39). Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, was es als Mensch bedeutet, die Sünden der ganzen Welt auf sich zu nehmen (Uoh.2,2)? Mit der Last aller Milliarden Menschen, die über die Erde gegangen sind, beladen und so „zur Sünde gemacht" zu werden (2.Kor.5,21)? Auf die „Monde der Vorzeit" wird in der folgenden Behandlung der Verse 3 und 4 eingegangen.

Vers 3: „als seine Leuchte über meinem Haupte schien, und ich bei seinem Lichte durch die Finsternis wandelte."

Die in Vers 2 angesprochene Bewahrung durch Gott wird nun hier in Vers 3 weiter beschrieben: „als seine Leuchte über meinem Haupte schien." Diese Einzelheiten auf den Hiob zu deuten, ist nicht schwer. Was aber ist, wenn wir diesen Aussagen die Worte des Anfanges von Vers 2 voranstellen: „O daß ich wäre wie in den Monden der Vorzeit"? Also redet Hiob von seiner Bewahrung durch Gott (Vers 2), aber auch von Gottes Leuchte über seinem Haupt und seinem Wandel durch die Finsternis (Vers 3) unter der Vorgabe der „Monde der Vorzeit". Hiob redet von den Monden der Vorzeit, was nach I.Mose 1,16 sein kann, als Gott den Mond geschaffen hatte. Also redet Hiob über einen Zeitpunkt von Jahrtausenden vor seiner Menschwerdung. Das heißt doch, daß seine Bewahrung, Gottes Leuchte und die herrschende Finsternis für ihn nicht allein spermatisch zu sehen ist, sondern im Ur-Ur-Keim erfolgte. Dieser Ur-Zeugungsvorgang

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rechtfertigt dabei den Begriff „wandelte". Wie aber kann eine solche Aussage auf den Herrn Jesus gedeutet werden? Zuerst sollen ein paar Begriffe beschrieben werden, weil ansonsten der Artikel nicht verstanden wird.

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft bei Gott

Den Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt es bei Gott in der Ewigkeit nicht. Diese drei Zeitfolgen gibt es nur in der Materie, und zwar dort, wo nicht Ewigkeit, sondern Zeit regiert. Bei Gott in der Ewigkeit gibt es allein nur Gegenwart. Für die Vergangenheit bei uns zählt in der Ewigkeit „geschehnisabgelaufene" Gegenwart. Für die Dinge der Zukunft bei uns zählt in der Ewigkeit die „geschehniskommende" Gegenwart. Hierdurch ist es Gott kein Problem, die Vorgänge aus den An-nalen der Vergangenheit, wie auch die der kommenden Zeiten, in Seiner Gegenwart der Ewigkeit sofort zu erkennen. Zwar befindet sich der Ablauf „Zeit" im Geschehen der Ewigkeit eingebettet, doch gibt es keinen Umrechnungsfaktor, um Ewigkeiten in Zeitabläufen darzustellen und auszudrücken.

Das den Herrn Jesus Betreffende

Die Fleischwerdung Gottes im Sohne ist ein Geheimnis, welches zwar seit ca. 2000 Jahren geoffenbart worden ist, jedoch bleibt die göttliche Wegbegehung und Rettungsabsicht in dieser Weise auch jetzt noch ein Geheimnis für uns.

In den Ewigkeiten muß es im Himmel Gespräche gegeben haben, in deren Verlauf es innerhalb der Trinität zum Thema der Fleischwerdung des Gottessohnes gekommen ist. Die Folge davon ist ein „Beschluß" der Gottheit, wovon wir in Ps.2,7 lesen: „Vom Beschluß will ich erzählen: Jehova hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt."

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Wir wissen, daß Hiob infolge tiefster Prüfungen seiner Krankheitsnot die Worte der Verse 2 und 3 geredet hat. Verglichen mit der Leidensprüfung unseres Herrn, hatte der Herr Jesus eine weit, weit schwerere Prüfung am Kreuz zu durchstehen. Auch Seine Gedanken führten IHN zurück zu den in Vers 2 beschriebenen Tagen: „wie in den Tagen, da Gott mich bewahrte", sowie zu Vers 3, „als seine (des Vaters) Leuchte über meinem (des Sohnes) Haupte schien". Die in Vers 2 benannten Monde der Vorzeit waren beim Herrn Seine Zeit in der Ewigkeit: Die Zeugung des Sohnes des Menschen nach Psalm 2,7 war zwar erfolgt, doch war sie noch verborgen (in Finsternis). Denn der Herr hatte noch keinen Leib aus Fleisch und Blut (Vers 3).

Wie oben ausgeführt, gibt es in der Ewigkeit nur Gegenwart. Infolge des zunächst vorhandenen Beschlusses, war die Leuchte des Vaters über dem Haupte des Gottessohnes. Was aber Seine Fleischwerdung in der „geschehniskommenden Gegenwart" betraf, die sich ja noch nicht vollzogen hatte, wandelte ER „bei seinem Lichte (als Sohn des Menschen) durch die Finsternis". Das Licht Seiner Existenz im Fleische war noch nicht da.

Vers 4: „wie ich war in den Tagen meiner Reife, als das Vertrauen Gottes über meinem Zelte waltete." Bei der Anwendung der Worte Gottes auf den Herrn werden zwei historische Zeitpunkte offenbar: der Ablauf der Reife in Seinem Erdenleben und jener in der Ewigkeit.

a) Was Sein Erdenleben betrifft, so begann ER Seinen Dienst mit 30 Jahren (Luk.3,23). Bis dahin dauerte die (Aus)reife. In der Fußnote für „Reife" steht: „meines Herbstes". Der Herbst ist die Erntezeit, wo die Frucht nach dreieinhalbjähriger Wirkungszeit eingebracht wurde. Das Fest der Garbe der Erstlinge (Ostern), welches das dritte Fest war, weist im Alten Testament auf Christus hin. Das Kennzeichen war die „Erstlingsgarbe". Für uns im Neuen Testament bedeutet Sein Opferdienst Frucht. Als der Sohn des Menschen bedurfte ER jener 30 Jahre der Ausreife.

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b) Was Seine Reife in der Ewigkeit betrifft, welcher Zeitpunkt nach dem erfolgten Beschluß der Gottheit eintrat, so regierte das Vertrauen des Gottessohnes auf Seinen Gott. In der Fußnote steht für Vertrauen: „die vertraute Mitteilung", was eindeutig auf den Beschluß hinweist. Die himmlische Reifezeit wurde beendet, wie geschrieben steht: „als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn" (Gal.4,4).

Noch einmal gehen wir in den Vers 2: „O daß ich wäre … (Vers 4) wie ich war … als das Vertrauen Gottes über meinem Zelte waltete." Zelt und Hütte sind biblische Ausdrücke, die zugleich einen zeitlichen Zustand beinhalten. Damit weisen aber Zelt und Hütte auf den vergänglichen Leib des Herrn Jesus hin. Sein Hiersein war kurz, denn „er wurde abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen" (Jes.53,8). Damit entspricht die Länge Seines irdischen Lebens der Lebensdauer eines Zeltes. Und doch waltete das ganze Vertrauen des Vaters über Seinem irdischen Leben. War ER doch der einzige geliebte Sohn, an dem der Vater „Wohlgefallen gefunden" hatte (Matth.17,5). Auch dann, wenn der Herr nur ein kurzes irdisches Leben besaß, war Seine Hütte (Zelt) doch nicht mit der des Mose oder Elia zu vergleichen (Matth. 17,4). Das Sehnen des Herrn aber ging in den Tagen Seiner Leiden im Fleische zum vollen Vertrauen auf Gott. Wir glauben nicht, daß dieses Vertrauen zerstört oder geschmälert wurde, als ER von Gott verlassen und in das furchtbare Gericht geführt wurde, wie es in Jes.53,10 heißt: „Doch Jehova gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen."

Der Herr im Gericht Gottes

Denken wir immer daran, daß der treue Herr „unser Gericht" auf Sich nahm. An dieser Stelle müssen wir fragen: welches uns betreffende Gericht nahm ER auf Sich? Nahm ER unser Gericht des leiblichen Todes auf Sich? NEIN! Denn der Lohn der Sünde (Erbsünde) ist der Tod (Rom.6,23). Sobald wir leiblich gestorben

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sind, ist der Lohn der (Erb)sünde beglichen. Der Herr nahm unseren zweiten Tod, den Tod Gehennas, auf Sich, weshalb wir, die Erretteten, den ewigen Tod nicht mehr schmecken müssen. War der Herr in Gehenna, um unsere Sündenschuld dort zu sühnen? NEIN! ER war in den drei Stunden von Matth.27,45 nach Leib, Geist und Seele den Feinden ausgeliefert. Vorher war ER den Menschen-Feinden übergeben worden; jetzt aber wurde ER den Mächten der Bosheit (den Dämonen) überstellt, welche die eigentlichen Mörder des Herrn waren. Die Menschen waren nur die Erfüllungsgehilfen Satans. Denken wir an Ps.22, wo es in Vers 12 heißt: „Viele (Fußnote: große, mächtige) Far-ren haben mich umgeben, Stiere von Basan mich umringt." Die Rinder von Basan waren bekanntlich die größten der damaligen Zeit. Es ist ein Bild von den stärksten und mächtigsten Dämonen. Als reißende und brüllende Löwen haben sie sich auf den Herrn Jesus gestürzt. In drei Stunden hatten sie den Sündlosen zu Tode gebracht. Hast du deinem Erlöser immer wieder den Dank gebracht, der IHM gebührt? Verstehst du auch, daß ER von Gott in dieser so argen Lage verlassen werden mußte? Hätte Gott IHN nicht verlassen, dann hätte Gott „eingreifen" müssen. Dann wären alle Dämonen und alle Menschen dem Feuersee überstellt worden. Unsere Rettungsgnade wäre dahin gewesen. Verstehen wir jetzt etwas von der Gerechtigkeit Gottes wegen des Feuersees betreffs aller Feinde des Herrn?

Vers 5 führt die Rede von Vers 2 und Vers 4 fort; es heißt hier: „als der Allmächtige noch mit mir war, meine Knaben rings um mich her." Und wieder schaut der Herr aus der verzweifelten Lage Seiner Todessituation zurück auf die Tage der Segnungen des Himmels, als ER sich der Gemeinschaft mit Gott erfreute. Da heißt es: „als der Allmächtige noch mit mir war." An dieser Stelle zeigt uns der Herr die mögliche und nötige tiefe Gemeinschaft mit Gott auch für uns. In den Jahren Seiner Wirkungszeit war Gott mit IHM in vielen, vielen Bestätigungen. Jetzt war ER allein und verlassen, da lebte die gesegnete Vergangenheit in Seiner Erinnerung auf. ER dachte darüber nach, wie der

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Allmächtige mit IHM gewesen war. Dann lesen wir: „meine Knaben rings um mich her." Bei Knaben finden wir in der Fußnote das Wort „Knechte". Jene Knechte, die rings um IHN, den Meister, her waren, erkennen wir als Seine Jünger. Was muß es für den Herrn gewesen sein, den Grundstock der Lehre jener kommenden Gnadenzeit in ihre Herzen gelegt zu haben! ER denkt über die gesegnete Gemeinschaft mit ihnen nach. Bitternis aber war es für IHN, als ER erlebte, was in Matth.26,56 steht: „Da verließen ihn die Jünger alle und flohen."

Nun aber war ER verlassen von den Menschen und verlassen von Seinem Gott. Es blieb für IHN nur noch die gesegnete Erinnerung an die Gemeinschaft mit ihnen allen zurück. Ganz allein, ohne Hilfe Gottes, stand ER da und ließ Sich an das Marterholz schlagen. Auch war ER Sich Seiner Ermordung gewiß. Zwar hatte ER auf Tröster gewartet (Ps.69,20), aber keine gefunden. Die Heilige Schrift zeigt uns durch Hiob die Zusammenhänge und gibt uns Einblicke in die Not des Herrn, als ER völlig allein war, um die so große Schuld der ganzen Welt zu tragen. Aber auch uns ist es heute noch sehr bitter im Herzen, wenn wir daran denken, daß ER auch unserer Sünden wegen dort gelitten hat.

Vers 6: „als meine Schritte sich in Milch badeten, und der Fels neben mir Ölbäche ergoß." Und weiter steht Sein gesegneter Lebensweg vor Seinen Augen. Jeder Schritt, jeder Weg, den ER ging, vollzog sich in des Vaters Wohlgefallen. Da verstehen wir das Wort in 1.Sam.2,2, wo geschrieben steht: „Keiner ist heilig wie Jehova, denn keiner ist außer dir." Hätte uns etwa ein „guter Mensch", ein „starker Engel" erretten können? Haben nicht beide bewiesen (Mensch und Engel), daß sie zu fallen vermögen? Was wäre geworden, wenn unser Seelenheil in den Händen von Menschen und Engeln gelegen hätte? Ist nicht sogar der größte und mächtigste Engel gefallen? Wenn wir nun lesen: „als meine Schritte sich in Milch badeten", so wird

uns in IHM – dem Christus Jesus – der ganze Reichtum der Herrlichkeit Gottes gezeigt. Wenn Gott in 2.Mose 3,8 sagt: „in ein Land, das von Milch und Honig fließt", so soll ein unvorstellbares Übermaß an Reichtum ausgedrückt werden. Aus den Evangelien erkennen wir die vielen Reisen und das Unterwegssein des Herrn um der anderen willen. Aber überall wurde der Reichtum Seines Segens und Seiner vielen Hilfen gesehen, was hier durch die „Milch" ausgedrückt wird. So lesen wir an vielen Stellen, z.B. in Matth.4,23: „und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volke."

Dann heißt es weiter: „und der Fels neben mir Ölbäche ergoß." Im Alten Testament offenbarte Sich Gott, der Vater, als Fels. In 2.Sam.22,2 sagt David: „Jehova ist mein Fels", und in Vers 3: „Gott ist mein Fels." Erst später im Neuen Testament wird offenbar, daß die Heilsgeschichte auch im Alten Testament in den Händen des Sohnes lag. So lesen wir in 1.Kor.10,4: „Der Fels aber war der Christus." In I.Mose 1 lesen wir von Gott (dem Vater) und dem Heiligen Geist; aber erst im Neuen Testament hören wir, daß auch der Sohn Schöpfer war (Kol.1,16)! Deshalb wird ER in Kol.1,15 auch „der Erstgeborene aller Schöpfung" genannt.

Über die Wirksamkeit des Vaters und des Sohnes unterweist uns das Johannes-Evangelium. Vier Stellen belehren uns darin:

1.) Joh. 16,32: „Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir."

2.) Joh.14,10: „der Vater aber, der in mir bleibt, er tut die Werke."

3.) Joh. 10,32: „Viele gute Werke habe ich euch von meinem Vater gezeigt." 4.) Joh.5,17: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke."

Demnach ist Gott (der Vater) „der Fels neben mir" (dem Sohne), welcher die Ölbäche ergoß, als der Sohn die Werke

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Seines Vaters tat. Diese Werke vollführte der Gottessohn die gesamte Heilsgeschichte der Menschen hindurch, insbesondere aber, nachdem das Wort Fleisch wurde.

Was aber das Öl betrifft, so ist über die Geisterfüllung Jesu nicht weiter zu sprechen, wissen wir doch, daß dieses Öl zwei Anwendungsbereiche hat. Einmal wurde ER durch den Heiligen Geist gezeugt (Matthäus 1,20). Die Geisterfüllung lag also bereits bei Seiner Zeugung, Geburt und in Seinem ganzen Leben vor. Der andere Anwendungsbereich liegt in der „Dienstausrüstung" (Salbung). Diese Ausrüstung erhielt der Herr nach Matth.3,16 zu Beginn Seines Dienstes: „Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald von dem Wasser herauf; und siehe, die Himmel wurden ihm aufgetan, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herniederfahren und auf ihn kommen." In Vers 17 wird dann die Wohlgefälligkeit über den geliebten Sohn ausgedrückt.

Jetzt verstehen wir auch, daß diese Gottwohlgefälligkeit der Anlaß dafür war, daß Sich Seine Schritte in gottgegebenem Reichtum (Milch) bewegten (badeten). Des weiteren, daß der Fels (der Gott und Vater) neben dem Sohn Ölbäche ergießen konnte.

Vers 7: „als ich durch das Tor in die Stadt hineinging, meinen Sitz auf dem Platze aufstellte." Es ist ungeheuerlich, wie Hiob zu diesen Aussagen bereit war; allein nur die eingangs erwähnte „Weissagung" erklärt solches. Wir sehen in dem Vers 7 den Einzug Jesu in Jerusalem (Matth.21,7-11). Welch eine große Gnade und Barmherzigkeit Gottes hatte doch das irdische Volk Gottes „Israel" vor 2000 Jahren. Der verheißene Messias kam zu ihnen, welcher durch die Propheten des Alten Testaments angekündigt worden war. Durch die Verwerfung des Herrn wählten sie den Weg des Fluches und des Gerichts. Als König der Könige zog ER in Jerusalem ein – das Wohlgefallen des himmlischen Gottes und der sehr großen Volksmenge auf

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Seiner Seite (Vers 8). Darum rief das Volk (Vers 9): „Hosanna dem Sohne Davids! Gepriesen sei der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!" Die Stadt Jerusalem kam in Bewegung und man fragte: „Wer ist dieser?" An dieser Frage scheitern die vielen Milliarden Menschen auf dieser Erde. „Dieser" ist der zentrale Punkt in der Entscheidung zwischen „ewigem Leben" und „ewigem Tod". Bezeichnend ist auch, wie die Kleinen, die Volksmengen, von den Schriftgelehrten in Joh.7,49 „verflucht" werden. Darum spricht der Prophet Sacharja in Kap.13,7: „Und ich werde meine Hand den Kleinen zuwenden." Die Gemeinde betreffend sagt Paulus (1 .Kor.1,26): „daß es … nicht viele Edle sind." Die 144000 betreffend lesen wir in Jes. 14,30: „die Erstgeborenen der Armen". Die Fußnote bei „Armen" lautet: „die Ärmsten unter den Armen". Das ist seit Christus die Verheißung an die „Kleinen". Halten wir uns deshalb zu den „Niedrigen" (Röm.12,16), wohin wir vom Herrn her auch gehören.

Dann heißt es: „meinen Sitz auf dem Platze aufstellte." Der Einzug führte, wie wir schon lasen, durch das (Stadt)-Tor in die Stadt hinein bis zum (Tempel)-Platz. Auf diesem Platz muß sich die sehr große Volksmenge von Matth.21,8 aufgelöst haben. Der Herr Selbst ging nach Vers 12 weiter und trat in den Tempel ein. Dort warf ER die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Auch heilte ER im Tempel Blinde und Lahme zugleich als Zeugnis vor den Hohenpriestern und Schriftgelehrten (Matth.21,14). Der Einzug Jesu in Jerusalem hat verschiedene Seiten der Belehrung für uns:

1.) erfüllt sich das Wort der Prophetie von Ps.118,26, wo geschrieben steht: „Gesegnet, der da kommt im Namen Jehovas!"

2.) Der Einzug in Jerusalem nach Matth.21,7-11 sollte die Feinde Jesu überzeugen, daß dieser der verheißene Messias war, der kommen sollte. Wegen der Nichtannahme Jesu blieb der Einzug eine Vorerfüllung der

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späteren Vollerfüllung, die sich nach dem Gericht der 70. Jahrwoche ereignen wird.

3.) Vom Einzug in Jerusalem nach dem Gericht lesen wir in Micha 2,13, wo es heißt: „und ziehen durch das Tor und gehen durch dasselbe hinaus; und ihr König zieht vor ihnen her, und Jehova an ihrer Spitze." Weitere Stellen sind Jes.51,11 und Jes.35,10. Hier geschieht die Vollerfüllung von Punkt 2.

4.) Aber auch heute, in der Gnadenzeit, geschieht bei der Errettung eines Menschen, was in Joh. 14,23 geschrieben steht: „und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen." Zwar ist dies kein Einzug in Jerusalem, aber, geistlich gesehen, ein Einzug Jesu in unsere Herzen.

Das was uns insbesondere an den Punkten 2-4 auffällt, ist die mit dem Einzug verbundene Reinigung des Tempels als eine gottgewollte Unerläßlichkeit.

Zu 2): Nach Matth.21,15 wurden die Hohenpriester und Schriftgelehrten über die Reinigung im Tempel „unwillig". Es war die gleiche Sache wie in Luk.7,30, wo die Schriftgelehrten „den Ratschluß Gottes wirkungslos" machten, indem sie die Taufe des Johannes nicht annahmen. Hier nun nahmen sie den Messias-Christus nicht an, worin sie den Ratschluß Gottes wirkungslos machten, durch „Unwilligkeit" zur Reinigung.

Zu 3): Der Einzug Jesu in Jerusalem nach dem Gericht der Lebendigen geschieht mit den 144.000, die als Gerichtsgerettete gelten. Über allen Unglauben und Ungehorsam der übrigen hat Gott Gericht gehalten.

Zu 4): Die Errettung in der Gnadenzeit ist gerichtsverbunden, weil der Herr Jesus für uns stellvertretend an das Kreuz gegangen ist, aber auch, weil wir im Glauben unsere Sünden bekannt haben (1.Joh.1,9).

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Wichtiger Hinweis

Wenn wir im Textwort von Hiob 29,7 lesen, gelangen wir zu der Aussage des Wortes „hineinging". In der Fußnote lesen wir aber genau das Gegenteil davon: „als ich hinausging nach dem Tore zur Stadt." Da wußte ich nicht mehr weiter, weshalb ich den Herrn um Hilfe bat. Wieder las ich Matth.21,7ff, wobei der Herr mir zeigte, daß beides gemeint sei: hineinging und hinausging. Sowohl der Einzug als auch die Tempelreinigung gehören zusammen und stellen ein Geschehnis dar. Dieser Umstand wird besonders in den Abschnitten zu 2), zu 3) und zu 4) gesehen, wobei auch bei uns Reinigung und Einzug des Heiligen Geistes zusammengehören. Darum lesen wir in Matth.21,10: „Und als er in Jerusalem einzog" (hineinging); und nach der erfolgten Tempelreinigung in Matth.21,17: „Und er verließ sie und ging zur Stadt hinaus" (hinausging). Da habe ich dem Herrn gedankt.

Vers 8: „Die Jünglinge sahen mich und verbargen sich, und die Greise erhoben sich, blieben stehen." In jedem Fall stehen die nun folgenden Verse mit der Person des in Jerusalem einziehenden Herrn Jesus in Verbindung. Vier Dinge sind es im Leben Jesu, die allen offenbar waren:

Weisheit Vollmacht Würdigkeit Heiligkeit

Das waren die Erkennungsmerkmale des Herrn, in welchen ER Sich haushoch von allen übrigen Menschen unterschied. Aufgrund Seiner Herkömmlichkeit war der Tempel in Jerusalem das, wovon Luk.2,49 spricht: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?" Zwölf Jahre war ER alt, als von IHM gesagt wird: „Alle aber, die ihn hörten, gerieten außer sich über sein Verständnis und seine Antworten" (Luk.2,47). Sein weiteres Leben stand unter dem Wort von Luk.2,52: „Und

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Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe, und an Gunst bei Gott und Menschen." In den obigen vier Dingen wurde der Herr zu Beginn Seines Wirkens in ganz Israel bekannt. Insbesondere waren es Seine Belehrungen an das Volk, denn „er lehrte sie wie einer, der Gewalt hat" (Matth.7,29), aber auch die Zeichen der Krankenheilungen und Befreiungen aus Satans Macht ließen IHN über alle Grenzen hinaus bekannt werden. Darum kannte IHN jeder Jüngling und jeder Greis. Obgleich sich die Masse des Volkes hinter IHN stellte, erregten Seine Weisheit und Vollmacht bei den Hohenpriestern und Schriftgelehrten einen abgrundtiefen Neid (Matth.27,18). In diesem Zwiespalt lebten in den Tagen Jesu viele Israeliten. Auch sehen wir dies in Joh.9,22, wo geschrieben steht: „Dies sagten seine Eltern, weil sie die Juden fürchteten; denn die Juden waren schon übereingekommen, daß, wenn jemand ihn als Christus bekennen würde, er aus der Synagoge ausgeschlossen werden sollte." Die Jünglinge sahen den Herrn Jesus, obgleich sie sich nicht dazu stellten, um nicht aus der Synagoge geworfen zu werden. In ihrem Innern mögen die meisten von ihnen auf Jesu Seite gestanden haben. Aber das Zeugnis Jesu forderte schon damals ganze Hingabe an IHN. Aus diesem Grunde lesen wir in Vers 8: „Die Jünglinge sahen mich und verbargen sich." Sie sind jedweder Auseinandersetzung aus dem Wege gegangen aus Angst vor den Juden. Jüngere Leute haben nicht immer das Profil einer älteren Person im Denken und Verhalten.

Dann heißt es weiter: „und die Greise erhoben sich, blieben stehen." Einen Greis erschüttern die Umstände nicht so leicht, weil in seinem Leben schon viel hinter ihm liegt. Wenn der Herr Jesus durch Jerusalem ging, da erhoben sie sich von ihren Bänken und blieben stehen, weil sie in diesem Jesus den sahen, welcher ER war. Sie brachten IHM die Ehre entgegen, die Seinen Werken, Zeichen und Wundern entsprachen. Darum wird auch die spätere Ermordung des Christus viel, viel Not in den Herzen Tausender von Israeliten hinterlassen haben. Denken wir nur an die vielen, welchen ER heraushalf aus Krankheit, Beses-

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senheit, Not und Elend sowie an jene, welche ER durch die vielen Predigten an das Herz Gottes führte.

Verse 9 und 10: „die Fürsten hielten die Worte zurück und legten die Hand auf ihren Mund; die Stimme der Vornehmen verstummte, und ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen." In Vers 8 war bereits über die böse Zeit in den Tagen Jesu gesprochen worden. Und wenn sich schon die Jünglinge verbargen, wenn der Herr Jesus erschien, so hielten selbst die Fürsten in Israel ihre Worte zurück, um nicht mit den damaligen Schriftgelehrten in die Auseinandersetzung zu kommen. Der Regent von damals war Pilatus; Herodes, der König, war ein machtloser „Fuchs". Die römische Besatzungszeit war ohnedies sehr angespannt. Rein menschlich verwundert es uns nicht, wenn die Fürsten die Worte zurückhielten, selbst wenn es um den goßen Wohltäter Jesus von Nazareth ging. Wahrscheinlich hat man sich auch an das Wort von Spr. 17,27 erinnert, wo es heißt: „Wer seine Worte zurückhält, besitzt Erkenntnis." Hier ist aber niemals das Zeugnis Gottes gemeint, sondern das Reden in eigener Sache. Auch Hiob hatte gelernt, nicht mehr aus sich heraus zu reden, wenn er sagt: „Ich lege meine Hand auf meinen Mund" (Hiob 39,34). Nur zu gern möchten wir unsere Hand auf den Mund des Nächsten legen. Auch David hatte ähnliche Probleme, wenn er in Ps.39,1 sagt: „Ich will meine Wege bewahren, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge; ich will meinen Mund mit einem Maulkorbe verwahren, solange der Gesetzlose vor mir ist." Der Maulkorb bei David ist bei uns Matth. 12,36, wo es heißt: „Ich sage euch aber, daß von jedem unnützen Worte, das irgend die Menschen reden werden, sie von demselben Rechenschaft geben werden am Tage des Gerichts." Das ist für die Erretteten der Richterstuhl des Christus (2.Kor.5,10); und für die Verlorenen ist das der große, weiße Thron nach Off.20,11-12. Wie groß ist der Unterschied, ob wir den Mund in eigener Sache oder im Auftrage Gottes öffnen! Jer.1,9: „Und Jehova streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und Jehova sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund."

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Christus-Menschen müssen nicht unbedingt Propheten sein, um Worte Gottes in den Mund gelegt zu bekommen. Das ist vielmehr der Ausdruck unseres Wandels in Gemeinschaft mit dem Herrn. Salomo sagt in Spr.13,3: „Wer seinen Mund bewahrt, behütet seine Seele; wer seine Lippen aufreißt, dem wird's zum Untergang." „Mundaufreißer" gab es wohl zu allen Zeiten der Menschheit, auch unter den Gläubigen in der Gnadenzeit. Überall dort, wo heute Kinder Gottes noch nicht Herr über ihren eigenen Mund sind, fehlt das Gestorbensein mit Christus. Sie sind ihrer eigenen Unheiligkeiten wegen ein beständiger Quell zum Streit mit Erretteten. Es ist ein Übel unter der Sonne, wenn Erlöste auf halbem Wege der Reinigung stehenbleiben.

Dann heißt es: „die Stimme der Vornehmen verstummte und ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen." Wie wir aus der Heiligen Schrift entnehmen, waren die Vornehmen in Israel schon immer unberechenbare Menschen. In Neh.3,5 beugten die Vornehmen beim Wiederaufbau ihren Nacken nicht unter den Dienst, in Kap.10,29 aber taten sie es in der Mitarbeit. In Ap.25,2 machten die Vornehmen gegen Paulus Anzeige. Als aber der Herr Jesus in Jerusalem als König einzog, da hatten die Vornehmen keine Worte. Sie wußten nicht, welche Machtfunktionen IHM werden würden, denn sie witterten Geschäfte. Lieber zwingt man sich den Mund zu verschließen, wenngleich die Zunge am Gaumen klebt, als sich neue Geschäftsquelien durch unbedachtes Reden zu verschließen. Das Geschäftsblut liegt den Israeliten in den Adern. Feindlichkeit gegen die Juden ist zu allermeist Neid. Sie besitzen eben etwas, was andere an Geschäftsfähigkeiten nicht haben. Es ist aber auch erstaunlich, wie verschieden die Menschen beim Einzug Jesu in Jerusalem reagierten.

Vers 11: „Denn wenn das Ohr von mir hörte, so pries es mich glücklich, und wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab." Wir könnten den Vers 11 mit einer Überschrift versehen, die da lautet: Das Zeugnis des Geistes im Sohne des Menschen. Es wird für uns alle verständlich sein,

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daß der sündlose Christus eine ungehinderte Wirksamkeit des Geistes in Sich hatte. Wir hingegen grenzen durch unsere eigene Sünde das Wirken des Heiligen Geistes in uns ein. Dabei ist noch maßgebend, wie stark oder wieviel wir sündigen und wie oft wir die Vergebung in Anspruch nehmen müssen. Auch Mangel an biblischer Belehrung stellt ein Hindernis für den Heiligen Geist dar. Das führt dazu, daß viele Gläubigen, die ihr Leben in Aufrichtigkeit (mit Sündenbekenntnis) dem Herrn übergeben haben, nicht wissen, ob sie nun Kinder Gottes sind oder nicht. An dieser Stelle sei das Wort von Röm.8,16 zitiert, wo es heißt: „Der Geist selbst zeugt mit unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind." Das heißt, in einem normalen Glaubensleben eines Erretteten bezeugt der Heilige Geist unserem Geist des Menschen: Du bist Kind Gottes. Der Heilige Geist wirkt also keine Sündlosigkeit in uns, sondern wirkt so stark in unseren Geist des Menschen ein, daß wir mitbekommen und erkennen: wir sind Kinder Gottes. Beim Bibellesen, beim Gebet und beim Hören des Wortes Gottes treten Wirkungen auf, wo der Heilige Geist die Wahrheit in dieser Sache klarmachen kann und will. Der Heilige Geist benutzt aber nicht allein nur den Geist des Menschen, sondern auch das Gewissen! Dies lesen wir zum Beispiel in Rom.9,1: „indem mein Gewissen mit mir Zeugnis gibt in dem Heiligen Geiste." Die vorgenannten Ausführungen sind nötig, um die Vorgänge bei unserem Herrn besser zu verstehen. Je stärker wir also in der Wahrheit leben und wandeln, desto aktiver kann der Heilige Geist in einem Gläubigen wirken.

Geistliche Augen und geistliche Ohren

Wortwörtlich findet man in der Bibel die Ausdrücke „geistliche Augen" und „geistliche Ohren" nicht. Und doch sind sie jedem verständlich. Gewiß haben wir alle schon gehört: „an den Augen des Herzens". So wie ich die geistlichen Augen nicht sehen kann, vermag ich auch die neue Schöpfung oder das Heil in mir nicht zu sehen. Wenn also Simeon in Luk.2,30 sagt: „denn

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meine Augen haben dein Heil gesehen", so wissen wir genau, daß dies eine rein geistliche Aussage ist. Wenn Gott über Israel klagt: „sie haben Ohren und hören nicht", so ist das rein geistlich zu verstehen. Der Herr meint dabei nicht, daß diese alle zum Ohrenarzt müßten. Vielmehr werden die Augen und Ohren des Herzens angesprochen. Wenn Errettete die geistlichen Augen und Ohren verkümmern lassen, kann der Heilige Geist nicht in Freiheit wirken. Die Folge davon sind glaubens- und geistlich schwache Kinder Gottes. Die Verkümmerung kann durch Ungehorsam, Faulheit und Unglauben hervorgerufen werden. Verantwortlich ist in dieser Sache jeder Einzelne.

S In Vers 11 sagt nun die Schrift: „Denn wenn das Ohr von mir hörte, so pries es mich glücklich." Wir haben also davon auszugehen, daß unser Herr Seiner Sündlosigkeit wegen in dem Leibe des Fleisches keinerlei Hindernis hatte. Auch war ER nicht nur wie Adam vor seiner Sünde im Garten Eden sündlos, sondern ER war Gott – geoffenbart im Fleische. Letzteres ist etwas ganz anderes, als ein sündloser Adam. Ein sündloser Adam wurde von Satan versucht und fiel. Der Herr wurde von Satan in der Versuchungs-Geschichte versucht und fiel nicht.

Wenn über alles göttliche Tun und Walten (als Christus Jesus auf Erden war), das Ohr des Geistes über den Weg des fleischlichen Ohres die Worte und Reden Seiner Gnade vernahm, da pries das Ohr des Geistes den Herrn Jesus. Das ist aber auch eine klare Wirkung von Röm.8,16, wo der Heilige Geist das Selbstzeugnis über den Geist des Menschen im Herrn lobpries. Genauso verstehen wir dann auch die zweite Hälfte von Vers 11, wo es heißt: „und wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab." Sobald also das Auge des Geistes über das fleischliche Auge die Handlungen Jesu sah, wie ER Zeichen und Wunder geschehen ließ, so gab der Geist in IHM das Zeugnis der Übereinstimmung. Wir sind überzeugt, daß eine dergestaltige Wirksamkeit des Geistes auch nur bei einem Sündlosen, wie unser Herr es war, sein konnte.

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Vers 12: „Denn ich befreite den Elenden, der um Hilfe rief, und die Waise, die keinen Helfer hatte." Das Wörtchen „denn" ist ein Bindewort für das in Vers 11 Gesagte. Wenn wir hier an die Befreiung des Elenden denken, so werden wir an das größte Elend erinnert: es ist das Elend der Sünde. Christus, der Herr, hat Sich der Elenden erbarmt, wie in Ps.22,24 geschrieben steht: „Denn nicht verachtet hat er, noch verabscheut das Elend des Elenden, noch sein Angesicht vor ihm verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er." Genau das ist die Verhaltensweise unseres geliebten Herrn gegen jeden elenden Sünder. Nie hat ER einen verlorenen Sünder in seiner Not verachtet. Wie hätte Sich unser Erlöser herablassen können, wenn ER Sich des Sünden-Elends nicht erbarmt hätte! Nur sündige Wesen bedrük-ken noch Elende, am Boden Liegende. Das war auch das Bild zur Zeit Hesekiels, der in Kapitel 22,29 klagen muß: „Das Volk des Landes (in der Fußnote: das geringe Volk) verübt Erpressung und begeht Raub; und den Elenden und Dürftigen bedrük-ken sie, und den Fremdling übervorteilen sie widerrechtlich."

Wundern wir uns da, daß Gott Gericht üben mußte? In der kommenden Gerichtszeit wird Gott nach Sach.11,16 auch einen Hirten erwecken, von dem es heißt: „Denn siehe, ich erwecke einen Hirten im Lande: der Umkommenden wird er sich nicht annehmen, das Versprengte wird er nicht suchen, und das Verwundete nicht heilen; das Gesunde wird er nicht versorgen, und das Fleisch des Fetten wird er essen und ihre Klauen zerreißen." Und im gleichen Kapitel 11,11 ist gesagt: „und also erkannten die Elenden der Herde, die auf mich achteten, daß es das Wort Jehovas war." Deshalb die Konsequenz Gottes nach der Ermordung des „guten Hirten" in Sach. 13,7b: „Und ich werde meine Hand den Kleinen (Fußnote: Geringen) zuwenden." Darum kündigt Gott Gericht über alle falschen Hirten an, besonders über den „Nebenchristus" (Sach.11,17b): „Sein Arm soll gänzlich verdorren, und sein rechtes Auge völlig erlöschen." Und am Ende der 70.Jahrwoche sollen nach Sach. 14,12: „seine Augen…verwesen in ihren Höhlen".

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O, wie können wir Gott danken, daß wir vom guten Hirten geliebt sind, der für uns Sein Leben gab; der Sich auch unseres Elends der Sünde erbarmte und alles das mit in den Tod nahm! Uns, die wir mit unseren Sünden zum Herrn gekommen sind, hat ER alles vergeben, und wir sind frei von allem Gericht, weil wir an IHN glauben. Christus, der Sich am Kreuz ermorden ließ, wirft aber Seine Rettung niemandem nach. Darum heißt es im Textvers weiter: „der um Hilfe rief". Wer da zu stolz ist, den kann der Herr Jesus nicht retten. Denn ER hat gesagt: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Belade-nen." Wo überall nur suchen die Menschen heute Rettung, Zuflucht und Hilfe! Der Satan hat wirklich gut vorgearbeitet: in den Weltreligionen, im Okkultismus in den verschiedensten Formen wie Akupunktur, Akupressur, Kurpfuscherei, Autogenem Training und vielem mehr, wovon das allermeiste aus den fernöstlichen Religionen entnommen ist, was er den Gottlosen und Gläubigen raffiniert anbietet. Das Schlimme ist, daß Kinder Gottes nicht allein in dieses Lügenwerk des Teufels verstrickt sind, sondern daß Errettete unter der Vorgabe von Wissenschaft auch als Vertreter Satans in Erscheinung treten.

Zum Schluß heißt es im Vers 12: „und die Waise, die keinen Helfer hatte". Das Wort „Waise" finden wir in der Bibel zum ersten Mal in 2.Mose 22,22: „Keine Witwe und Waise sollt ihr bedrücken!" Und in 5.Mose 27,19 hat Gott einen Fluch auf jene gelegt, die das Recht der Waisen beugen! Die Gottlosigkeit nahm in Israel so überhand, daß der Schreiber von Psalm 94,6-7 klagt: „Sie töten die Witwe und den Fremdling, und sie ermorden die Waisen, und sagen: Jah (Kurzform von Jehova) sieht es nicht, und der Gott Jakobs merkt es nicht." Deshalb stellt David klar, wer der Herr ist (Psalm 68,5): „Ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung." Der treue Herr hat vor Seiner Aufnahme in die Himmel gesagt (Joh.14,18): „Ich werde euch nicht als Waisen (zurück)lassen, ich komme zu euch." Sein Kommen war die Gabe des Geistes, wodurch ER sagen konnte: „Und siehe,

ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters" (Matth.28,20). Und wenn ER sagt: „ich komme zu euch", so erwarten wir IHN sehnlichst vom Himmel her, denn ER wird gleich kommen.

Vers 13: „Der Segen des Umkommenden kam über mich, und das Herz der Witwe machte ich jubeln." Wenn hier vom Umkommenden geredet wird, so betrifft dies die in Vers 11 benannten Elenden und Waisen. Die Hilfe für die Elenden und Waisen kommt als Segen auf den Helfer zurück. Wir wollen auch hier den Sohn Gottes im Fleische sehen, DER zu Seiner Zeit auf die Erde kam, um überall Segnungen auszuteilen. Seine Segnungen für den Armen kamen auf den Segensgeber wieder zurück. Dies trifft sowohl auf den Herrn als auch auf die Erretteten zu. Denken wir an dieser Stelle auch an das Wort in 2.Kor.9,6: „wer segensreich sät, wird auch segensreich ernten." Und wenn wir wissen, daß der Herr Jesus unter uns Menschen der größte Segensgeber war, so ist es gar nicht verwunderlich, in IHM auch den zu erkennen, der die segensreichste Frucht bei Seiner Himmelfahrt von der Erde mit in die Himmel nahm. Aber auch wir sollen „segnen", weil wir dazu berufen worden sind, daß wir Segen ererben (1 .Petr.3,9). Unser Herr Jesus ist uns doch in allem das große Vorbild, so auch hier. Wie mag der Herr damals unter gewaltigen Segnungen gestanden haben, als ER der Wohltäter all jener Kranken war, die zu IHM kamen! Und wie groß wird erst Sein Segen gewesen sein, als ER nach vollbrachtem Werk am,Kreuz für die Sünden der ganzen Welt gelitten hatte (Uoh.2,2)!

Die Wechselwirkungen vom Gesegneten 'zum Segnenden finden wir schon im Alten Testament. Als Jakob den Erbsegen von seinem Vater Isaak erhielt, sprach Isaak in 1 .Mose 27,29b: „und wer dich segnet, sei gesegnet!" Das heißt, wer immer Jakob (auch in seinen Nachkommen) segnen würde, stand automatisch unter dem Segen Isaaks. In ähnlicher Art sehen

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wir auch bei Laban eine solche Doppelwirkung von Segen (I.Mose 30,27). Jakob war durch die beiden Töchter Labans, die er sich zu Weibern nahm, gesegnet worden. Daraufhin sagt Laban in Vers 27b: „Ich habe gespürt, daß Jehova mich um deinetwillen gesegnet hat."

Eine andere Stelle erkennen wir in der Rede des Bileam von 4.Mose 24,9b: „Die dich (Israel) segnen, sind gesegnet, und die dich verfluchen, sind verflucht!" Dieser Ausspruch des Bileam stimmt genau mit den Worten von I.Mose 27,29 überein. Bileam sprach ja nach 4.Mose 24,2 durch den Geist Gottes. Er war gekommen, um Israel zu verfluchen. Was mag da in seinem Herzen vorgegangen sein, als er sagen mußte: „die dich verfluchen, sind verflucht!" Weil er für einen Wahrsagerlohn (4.Mose 22,7) Israel verfluchen wollte, sprach er das Urteil eines Verfluchten über sich selbst aus. In Jos.13,22 lesen wir dann, wie Bileam den Fluch durch das Schwert empfing.

Am Ende des Textverses heißt es: „und das Herz der Witwe machte ich jubeln." Keiner als gerade unser Herr hat das Herz der Witwen so jubelnd gemacht. Denn ER hat aus dem Staube emporgehoben den Niedrigen; hat Leben gegeben denen, die keine Hoffnung mehr hatten.

Vers 14: „Ich kleidete mich in Gerechtigkeit, – und sie bekleidete mich, – wie in Oberkleid und Kopfbund in mein Recht." Es ist mit der Gerechtigkeit wie in einer Wechselwirkung, die wir bei verschiedenen Verhaltensweisen finden. Zum Beispiel: Wenn wir uns vor der Sünde bewahren, wo wir können, wird der Herr uns bewahren, wo wir uns selbst nicht mehr bewahren können. Nur müssen wir einen ganz großen Unterschied sehen zwischen der Gerechtigkeit unseres Herrn und der Gerechtigkeit von Menschen, die in Seine Gottesnachfolge getreten sind. Deswegen soll zuerst das generelle Thema „Gerechtigkeit" behandelt werden.

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Die Gerechtigkeit

Gehen wir davon aus, daß Sünde Ungerechtigkeit ist, haben wir automatisch über zwei Seiten des Verständnisses von Gerechtigkeit zu befinden. Die Seite der Sündlosigkeit ist Gottes in Seiner Gerechtigkeit, die Seite der Sündenverbundenheit drückt die Gerechtigkeit der Menschen aus. Über die Seite Gottes bedürfen wir keiner großen Erklärung.

a) Die Gerechtigkeit Gottes In Klagelieder 1,18 heißt es: „Jehova ist gerecht." In Ps.7,9b ist gesagt: „Es prüft ja Herzen und Nieren der gerechte Gott." In Jes.53,11 wird über das fleischgewordene Wort, Jesus Christus, gesagt: „mein gerechter Knecht". So war selbst die Gemeinschaft mit unseren Sünden am Kreuz „Gerechtigkeit Gottes". Darum war alles, was der Herr gesagt und getan hat, der Sündlosigkeit und Vollkommenheit wegen nur Gerechtigkeit Gottes. Ein in Sünden geborener Mensch kann mit IHM nicht verglichen werden. Weil das Innerste und die Quelle Gottes Reinheit ist, kann auch nur Gerechtigkeit aus der Fülle Gottes hervorkommen.

b) Die Gerechtigkeit der Menschen Wenn die Heilige Schrift feststellt: „Alle Menschen sind Lügner" (Ps.116,11), so sind alle Menschen mit der Sünde verbunden und „ungerecht" im Vergleich zu unserem Herrn und Gott. Was aber meint die Bibel, wenn sie von Menschen als von Gerechten redet? Wir wollen versuchen, eine Auswahl von Menschen zu nennen, die das Zeugnis der Schrift besitzen, gerecht (gewesen) zu sein. In jedem Fall haben wir in der erwähnten Gerechtigkeit dieser Menschen nicht ihre Sündlosigkeit zu sehen.

1 .Mose 6,9: „Noah war ein gerechter, vollkommener Mann." 2.Petr.2,7a: „und den gerechten Lot rettete." Hebr.11,4: „durch welches er Zeugnis erlangte, daß er gerecht war" (Abel).

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Luk.1,6: „Beide aber waren gerecht vor Gott" (Zacharias und Elisabeth).

Luk.2,25: „und dieser Mensch war gerecht" (Simeon). Luk.23,50: „Joseph, der ein Ratsherr war, ein guter und gerechter Mann."

Ap.10,22: „Kornelius, ein Hauptmann, ein gerechter und got-tesfürchtiger Mann."

Alle acht Personen hatten das Zeugnis der Schrift, gerecht gewesen zu sein. Warum redet Hiob selbst in Kap.9,2: „wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?" Hiob erkannte ganz genau den großen Unterschied zwischen der Gerechtigkeit Gottes und der Gerechtigkeit der Menschen. Eingedenk seiner Position sagt Hiob in Kap.9,15: „der ich, wenn ich gerecht wäre, nicht antworten könnte – um Gnade würde ich flehen zu meinem Richter." Der Mensch ist aufgrund der Erbsünde nicht in der Lage, gerecht zu sein oder sich gerecht zu machen. Wenn nun die Schrift jene acht Personen als gerecht bezeichnet, so spricht Gott ihnen die Gerechtigkeit aus der Perspektive ihrer Rettung zu, welche Rettung mit ihrem Wandel einherging.

Am geeignetsten zeigt uns dies das Wort im Neuen Testament, wo wir unsere Gerechtigkeit oder Rechtfertigung (Röm.5,18), wie es heißt, „aus Glauben" haben (Röm.5,1). Das bedeutet doch, Gott sieht uns nicht mehr aus der Sicht unserer Sünden, sondern aus der Schau des Werkes Jesu am Kreuz und Seiner unendlichen Vergebung im Gottesopfer. Im Blick völliger Vergebung sieht Gott uns gerechtfertigt oder gerecht. Was aber die Gläubigen des Alten Testaments betrifft, die noch keine Rechtfertigung aus Glauben kannten (wie z.B. Simeon), so lief ihre zugesprochene Gerechtigkeit über die Tieropfer hin zum vollkommenen Opfer Christi Jesu.

Damit kommen wir wieder zurück zum Vers 14, wo geschrieben steht: „Ich kleidete mich in Gerechtigkeit – und sie bekleidete mich." Aus dem Thema „Die Gerechtigkeit Gottes" entnehmen wir

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die alleinige Grund-Gerechtigkeit beim Herrn. Darum wenden wir diese auf unseren Herrn Jesus an. Sein irdischer Wandelweg erlaubte es IHM, aufgrund Seiner Sündlosigkeit zu sagen: „Ich kleidete mich in Gerechtigkeit." Wer im sündlichen Leibe wollte so einen Satz sagen, ohne dabei in Sünde zu fallen! Es war des Vaters Wohlgefallen, daß die Gerechtigkeit Gottes auch IHN im Fleische mit der Gerechtigkeit Gottes bekleidete.

Dann heißt es im Textvers weiter: „wie in Oberkleid und Kopfbund in mein Recht." Als der Herr Jesus vor bald 2000 Jahren hier war, da zertrat man Seine Gerechtigkeit mit Füßen; Sein Leibrock war ohne Naht (Joh. 19,23-24), weshalb sie darüber das Los warfen. Der Kopfbund weist hin auf das Zeichen des Hohenpriesters (Hes.21,31 siehe Fußnote in der Elberfelder Bibel; 2.Mose 28,4). Den Herrn Jesus als Hoherpriester wollte man nicht. Doch für uns ist ER dennoch der Hohepriester geworden, auch wenn die Menschen dies nicht wollten. Unser Gott im Himmel wollte Sein Hohepriestertum, und das genügte. Was aber Seine gegenüber der verlorenen Welt noch nicht wiederhergestellte Gerechtigkeit betrifft, so wird im Gericht der Lebendigen das Wort unseres Gottes in Hes.21,32b erfüllt, wo es heißt: „bis der kommt, welchem das Recht gehört: dem werde ich's geben." Hier ist allein unser Herr Jesus angesprochen.

Vers 15: „Auge war ich dem Blinden, und Fuß dem Lahmen." Im masoretischen Urtext heißt es: „Zu Augen wurde ich dem Blinden und zu Füßen war ich dem Humpelnden." An dieser Stelle angelangt, wird die Frage gestellt: Wer kann einem Blinden das Auge sein? Es geht hier nicht um die äußere Hilfe, ob ich einen Blinden geleiten kann. Denn ein Blinder ist auch dann noch blind, wenn er geleitet wird. Darum bleibt eigentlich nur noch übrig, jemanden sehend zu machen, damit ich sein Auge bin. Bereits das Alte Testament redet in einer Präzision, wo Gott zu Mose sagt (2.Mose 4,11): „Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm, oder taub, oder sehend, oder blind? Nicht ich, Jehova?" Es ist aber der Wille Gottes, wie es in

MM

Ps.146,8 heißt: „Jehova öffnet die Augen der Blinden." In Jes.61,1-3 war vor etwa 2700 Jahren angekündigt worden: „um auszurufen das Jahr der Annehmung Jehovas." In Luk.4,17-19 war diese Verheißung in Christus erfüllt, deshalb lesen wir: „Und es wurde ihm das Buch des Propheten Jesaias gereicht; und als er das Buch aufgerollt hatte, fand er die Stelle, wo geschrieben war: Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen, und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn." Dann sagt ER: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt." Den Blinden das Gesicht wiederzugeben, ist damit in Christus erfüllt und hängt mit dem „angenehmen Jahr des Herrn" zusammen. Das „angenehme Jahr des Herrn" reicht vom Dienst Jesu bis zu Seiner Wiederkunft. Wir finden:

a) in der Zeit des Evangeliums des Reiches das Auftun der leiblichen Augen;

b) in der Zeit des Evangeliums der Gnade das Auftun der geistlichen Augen.

Etwas ganz anderes erkennen wir in Jes.42,19, wo es heißt: „Wer ist blind, als nur mein Knecht? und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist blind wie der Vertraute, und blind wie der Knecht Jehovas?" Ohne Zweifel haben wir es bei dem Blinden und Tauben hier mit dem Herrn Jesus zu tun. Hier handelt es sich aber nicht um eine leibliche oder geistliche Blindheit unseres Herrn Jesus. Vielmehr war ER blind und taub für die Sünde in dieser Welt. Blind sein heißt, ER sah die Sünde nicht wie wir.

Dann heißt es im Textvers weiter: „und Fuß dem Lahmen". Bei den Lahmen verhält es sich durchweg analog wie in den Ausführungen über die Blinden beschrieben. Auch fällt auf, daß in der Bibel oft „Blinde und Lahme" zusammen genannt werden (z.B. Matth.21,14). So können wir abschließend nur fragen: passen die

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Aussagen des Wortes Gottes auf einen anderen besser, als auf unseren Herrn Jesus? ER, der ihnen in dieser Vielzahl das leibliche und noch weit mehr auch das geistliche Auge sein konnte. Deshalb preisen wir Seinen hohen Namen.

Vers 16: „Vater war ich den Dürftigen, und die Rechtssache dessen, den ich nicht kannte, untersuchte ich." In der

Schrift werden der Arme und der Dürftige wiederholt zusammen genannt (Arnos 4,1; 5.Mose 24,14 usw.). Also trägt der Dürftige das Symptom des Mangels und der Not. Es ist von jeher die Absicht Gottes, dem Dürftigen und Armen zu helfen. Deshalb hat Sich unser Herr für die Armen in dieser Welt am Kreuz hingegeben. Ihnen Heil und Rettung zu bringen, war die Absicht dieser Liebestat. Darum erwartet der Herr von den Seinen, daß sie in Seiner Gesinnung wandeln, wie wir das in Rom. 15,26 lesen: „Denn es hat Macedonien und Achaja Wohlgefallen, eine gewisse Beisteuer zu leisten für die Dürftigen unter den Heiligen, die in Jerusalem sind." In dieser Mitteilung erkennen wir das Wesen unseres Herrn in den Herzen der Seinen praktisch ausgelebt. Von der Schrift her werden die Erretteten aufgefordert, dem Dürftigen zu geben. Wir lesen in Eph.4,28: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, auf daß er dem Dürftigen mitzuteilen habe." Nachdem der Herr in Matth.26,11 gesagt hat: „die Armen habt ihr allezeit bei euch", kommt niemand in die Verlegenheit zu sagen: ich kenne keine Dürftigen (Armen). In unserem Wandel mit dem Herrn Jesus brauchen wir eben auch Sein Licht zur Erkenntnis Seines Wortes. Weil Gott die weltlich Armen (Dürftigen) auserwählt hat (Jak.2,5), so sind wir in Gal.2,10 aufgefordert, „der Armen (Dürftigen) eingedenk" zu sein.

Die größte Dürftigkeit und Armut der Menschen liegt auf dem geistlichen Sektor. Denn diese Armut hat in der Verlorenheit ihren höchsten Ausschlag. Wer anders als unser Gott kann Sich als „Vater der Dürftigen" bezeichnen? Wer kann ihnen Vater sein?

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Wie wir in Matth.23,9 lesen: „einer ist euer Vater, der in den Himmeln ist." Kann da noch ein sündiger Mensch „Vater" sein oder sein wollen?

Dann heißt es: „und die Rechtssache dessen, den ich nicht kannte, untersuchte ich." Wohl dem, der wie David in Ps.9,4 sagen kann: „Denn du hast ausgeführt mein Recht und meine Rechtssache; du hast dich auf den Thron gesetzt, ein gerechter Richter." Wie so gut ist es, wenn der Herr unsere Rechtssache in Seine Hand nimmt, weil wir IHM gehören, ist ER doch unser Vater! Die ärgste Rechtssache steht mit unserer Schuld der Sünde im Zusammenhang. Oder gäbe es eine größere Schuld, als die vor Gott, welche doch mit der endlosen Ewigkeit verbunden ist?

Wie gut ist es da, daß wir einen Bürgen haben. Noch im Alten Testament muß Jesaja, der Prophet, bekennen (Kap.38,14): „O Herr, mir ist bange! tritt als Bürge für mich ein!" Im Neuen Testament ist Jesus eines besseren Bundes Bürge geworden (Hebr.7,22). Der König Salomo war noch in der Hoffnung, in Spr.22,23 zu sagen: „Denn Jehova wird ihre Rechtssache führen." Aber bereits der Prophet Jeremia konnte später in Klag.3,58 sagen: „Herr, du hast die Rechtssachen meiner Seele geführt." Für unsere Rechtssache hat ER Seinen Sohn eingesetzt, wie es in Ap.5,31 heißt: „Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht." Und wenn wir im Textvers lesen: „die Rechtssache dessen, den ich nicht kannte, untersuchte ich", so ist es doch das wunderbare Werk am Kreuz, wo der Herr für meine Sünden starb, als wir nicht allein Seine Feinde waren (Kol.1,21), sondern als wir noch gar nicht lebten. Wenn es dann heißt: „untersuchte ich", so dürfen wir davon ausgehen, daß hier die Begründung für die Auserwählung Israels „von Grundlegung" und die Auserwählung der Leibesgemeinde Jesu „vor Grundlegung der Welt" durch Gott liegt. Weiter muß davon ausgegangen werden, daß der Allmächtige auch die Lebenswege der Verlorenen „untersucht" hat. Von diesen ist gesagt: „ich kenne euch

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nicht" (Matth.25,12; Luk. 13,25). Sonst könnten die Verlorenen am großen weißen Thron sagen: Daß wir verloren sind, ist allein Gottes Schuld, weil ER uns nicht mit zuvorbestimmt hat, sondern nach Willkür wählte. Hier heißt es ganz klar: „untersuchte ich".

Vers 17: „und ich zerbrach das Gebiß des Ungerechten, und seinen Zähnen entriß ich die Beute." Gehen wir davon aus, daß die Erretteten das Wesen unseres Herrn annehmen, so erhalten die Verlorenen das Wesen Satans. Darum sind ihre Zähne den Schwertern gleich. Der Verlorene verkörpert den ungerechten Menschen; und dahinter steht der ungerechte See-lenverderber: Satan. In Spr.30,14 heißt es darum: „ein Geschlecht, dessen Zähne Schwerter sind, und Messer sein Gebiß, um wegzufressen die Elenden von der Erde und die Dürftigen aus der Menschen Mitte!" Als David vor seinem Sohne Absalom floh, verfaßte er den Ps.3, wo es in Vers 7 heißt: „Stehe auf, Jehova! rette mich, mein Gott! denn du hast alle meine Feinde auf den Backen geschlagen; die Zähne der Gesetzlosen hast du zerschmettert." Was besaß doch der David auf der Flucht eine für uns so vorbildliche Glaubens-Stellung in seinem Herzen! Er sagt: „hast du zerschmettert". Ist dir bekannt, daß Christus am Kreuz ausrief: „Es ist vollbracht!" Dann sind auch alle deine Glaubensprobleme seit 2000 Jahren vollbracht. Alles andere unterliegt der Stellung deines Glaubens. Und weiter sagt David in Ps.58,6: „Zerschmettere, o Gott, ihre Zähne in ihrem Maule, brich aus das Gebiß der jungen Löwen, Jehova!" Wenn der Psalmist hier von jungen Löwen redet, so spricht er von Menschen mit dem Wesen eines Raubtieres. Es geht doch letztlich bei dem Löwengebiß um „Raub" jener Beute.

Die Beute

Wenn es also darum geht, aus den Zähnen die Beute zu entreißen, so sollte zuerst noch ein Wort über „die Beute" gesagt werden. Beute steht mit Krieg und Plünderung im Verbund. In jedem Fall hängt dieses Wort mit Unrecht zusammen. Jakobus

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stellt die Frage des Krieges in Kap.4,1 und nennt als Ausgangspunkt die Sünde. Die Unrechtmäßigkeit ist auch im Wort „Ausbeutung" ausgedrückt. Deshalb haben auch „Kriegsbeute" und „Freibeuter" (Seeräuber) hier ihre Beziehungen.

Wir wissen, daß der Satan ein Drittel der Engel und alle Menschen infolge seiner Sünde „geraubt" hat. Dieser Raub ist auch seine Beute. Seit dem Sündenfall der Engel gibt es Krieg mit Gott. Seit dem Sündenfall der Menschen gibt es Krieg mit Gott und auch untereinander. Zwei Schriftstellen sollen herangezogen werden, um den tieferen Sinn von Vers 17 zu erklären:

a) Jes.49,24-25: „Sollte wohl einem Helden die Beute entrissen werden? oder sollten rechtmäßig Gefangene entrinnen?" Die nachfolgende Antwort lautet: Ja! Der Held, von dem geredet wird, ist Satan. Sein Recht, Gefangene zu halten, gründet sich auf den Tatbestand der Sünde. Die Beute des Helden sind diese Gefangenen. Wie bereits erwähnt, steht Beute aber mit Raub und Unrechtmäßigkeit in Zusammenhang. Das wirft die Frage auf, warum seine Beute zwar unrechtmäßiger Erwerb ist, diese erbeuteten Gefangenen aber gleichzeitig dennoch rechtmäßig Gefangene sind? Die Annahme der Sünde enthält für Gottes Geschöpfe jene Macht, Knechte der Sünde zu werden. Von der Gerechtigkeit Gottes her ist dieser Vorgang „legitim". Satan aber brach als Räuber durch die Sünde in Gottes Eigentum (Seine Geschöpfe) ein, daher sind die Verlorenen des Helden Beute. Weil Beute unrechtmäßig erworbenes darstellt, ist es Gottes Recht, Satan die Beute wieder zu entreißen. Dies geschieht durch das Opfer Jesu und durch unsere Annahme des Evangeliums. Dann erfolgt die „Errettung deiner Kinder" (am Ende von Vers 25), was primär auf die Errettung Israels und übertragen auf die Errettung allgemein hinweist.

b) Jes.53,12a: „Darum werde ich ihm die Großen zuteil geben, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen." In der Fußnote heißt es bei „geben": „Anteil geben an den Großen". In diesem Vers ist

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von Christus geredet, DER mit Großen die Beute teilen wird. Zwei Fragen stehen hier an:

1) Wer sind die Großen?

2) Wer ist die Beute?

Zu 1) Die Großen sind der himmlische Vater, der Christus und der Satan.

Zu 2) Die Beute ist die gesamte Menschheit: jene für das Reich des Vaters, jene für das Reich des Sohnes und jene für die Verdammnis der Hölle. Mit diesen Gewaltigen teilt der Christus, IHM bleibt die Leibesgemeinde.

Vers 18: „Und ich sprach: In meinem Neste werde ich verscheiden, und meine Tage vermehren wie der Sand."

Besehen wir das Leben Jesu, so sagt die Schrift in Joh.1,11: „Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen ihn nicht an." In Seinem Leben und Seinen Nöten stand ER immer ganz allein und verlassen, wie es in Jes.53,3 heißt: „Er war verachtet und verlassen von den Menschen." Wenn sie vom Aussatz geheilt werden wollten, dann suchten sie Seine Gemeinschaft, ansonsten nicht. Und als die Jünger eine Stunde mit IHM wachen sollten, da lesen wir: „Und er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend…" (Matth.26,40). Der Herr wollte doch, daß in Seiner „Gerichtsstunde" die Jünger für IHN beten sollten. Da ging es doch auch um die Seelenrettung der Jünger. Verstehen wir jetzt, daß auf uns Menschen keinerlei Verlaß ist? Was wäre das für eine Seelenermutigung in Seiner Todesangst gewesen, zu wissen, ganz dahinten beten die Meinen für Mich um innere Kraft. Nichts, bis ER auch noch von Seinem Gott verlassen war. Im Blick auf unsere Errettung sagt Jesaja in Kap.53,10: „Doch Jehova gefiel es, ihn zu zerschlagen."

Uns allen ist wohl bekannt, daß der Herr gekommen war, das Schuldopfer zu stellen (Jes.53,10). Er wußte also schon vorher, daß ER „getötet" werden würde (Matth. 16,21). Genau das ist das

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Textwort in Vers 18: „In meinem Neste werde ich verscheiden." Dieses Nest ist Israel! Nicht in Ägypten sollte der Herr sterben, wohl aber in Seinem Neste Israel. Daher sagt der Herr in Luk. 13,33: „es geht nicht an, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme." War ER doch der Prophet der Propheten und nicht nur ein Prophet. Und warum sollte es nicht angehen, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme? Matth.23,35: „damit über euch (Israel) komme alles gerechte Blut, das auf der Erde vergossen wurde." Deshalb ging es gar nicht anders, als daß ER in Seinem Neste verscheiden sollte.

Dann heißt es: „und meine Tage vermehren wie der Sand." Das kann nur erklärt werden, indem die Anwendung auf den Christus erfolgt. Wir lesen in Jes.53,10: „er wird seine Tage verlängern." Welcher in Sünden geborene Mensch könnte allein durch sein Abscheiden von dieser Erde seine Tage verlängern? Allein die Vermehrung der Tage wie Sand hat einen gewaltigen Hintergrund. Mit der Offenbarung des Gottessohnes im Fleische beginnt der Gott und Vater des Herrn Jesus ein neues Menschengeschlecht – Christus der Erstling, „wir eine gewisse Erstlingsfrucht" (Jak.1,18). Dieses neue Geschlecht ist rein geistlich zu verstehen, wenngleich wir noch im Fleische leben. Würde der im Fleische Gekommene in der Schwachheit des Fleisches die Ermordung gescheut haben, so wäre die „Vermehrung der Tage" verhindert gewesen. Zwar hätte sich an der Größe und Ehre des Gottessohnes nichts verändert. Doch der Plan Gottes mit dem Beschluß der Fülle Gottes in der Ewigkeit nach Ps.2,7 wäre zunächst nicht aufgegangen. Der Gehorsam Jesu jedoch war die Basis zum Gelingen der Absicht Gottes, worin die Vermehrung der Tage Seine Frucht ist und bleibt. Mit dem Ausdruck „meine Tage vermehren" meint die Schrift nicht eine irdische Lebensverlängerung Jesu. Sie meint mit den Worten „vermehren wie der Sand" die kommenden unermeßlichen Ewigkeiten des Herrn Jesu als Sohn des Menschen (An dieser Stelle sei Heft 2 der Wegweisungen für das Glaubensleben empfohlen). In stiller Stunde habe ich mir darüber Gedanken gemacht, ob nicht die Segnungen des Alten

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Testaments bei Gehorsam im Verborgenen auf ein ähnliches Ziel hinweisen, wenn es in 2.Mose 20,12 heißt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf daß deine Tage verlängert werden." Der Artikelschreiber ist sich durchaus bewußt, daß die Verheißungen zur Ewigkeit bei Israel anders liegen, als bei der Gemeinde Seines Leibes oder gar unseres Hauptes. Und doch verheißt Gehorsam „Verlängerung der Tage".

Vers 19: „meine Wurzel wird ausgebreitet sein am Wasser, und der Tau wird übernachten auf meinem Gezweig." Die

hier nachfolgende Auslegung des Vers 19 könnte überschriftlich lauten: „Der Segen Jesu aufgrund des erlittenen Todes am Kreuz." Wenn wir in Vers 18 das Verscheiden Jesu behandelten, so in Vers 19 Seine Segnungen aus der Quelle. Zuerst lesen wir in Jer.17,8: „Und er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bache seine Wurzeln ausstreckt, und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt; und sein Laub ist grün, und im Jahre der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen." Zuvor (in Vers 7) wird vom „gesegneten Mann" geredet, dessen Vertrauen auf Gott ist. Auf keinen anderen paßt die Aussage so genau, in Wahrheit, Vollkommenheit und Schönheit, wie auf unseren Herrn Jesus. Seine Schönheit ist: Jesus, das im Fleisch geoffenbarte Wort Gottes. Deshalb lesen wir in Ps.45,2: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet ewiglich." Und in Jes.11,1 steht geschrieben: „Und ein Reis wird hervorgehen aus dem Stumpfe Isais, und ein Schößling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen." Da ist unser Herr Jesus angesprochen, der Seine Wurzel ausbreitet am Wasser. Kommen trockene Zeiten, ER hat immer genug Feuchtigkeit, weil Seine Wurzeln am Wasser liegen. Dies bestätigt auch Salomo in Spr. 12,3b: „aber die Wurzel der Gerechten wird nicht erschüttert werden." Die Wurzel unseres ewigen Lebens ist mit Seiner Wurzel verbunden. Nie mehr wird der Herr in Dürrezeiten und Magerkeit kommen, weil ER nun in der Fülle jener Wasser Seine Wurzeln hat ausbreiten können.

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Dann heißt es weiter: „und der Tau wird übernachten auf meinem Gezweig." In der Schrift wird Tau und Regen gleichgestellt. In 1.Kön.17,1 ist gesagt: „Und Elia … sprach zu Ahab … wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!" Tau und Regen sind die Segensbringer für das Gedeihen der Pflanzenwelt. In 5.Mose 33,13 wird der Tau sogar „das Köstlichste des Himmels" genannt. Und auch der Tau auf das Gras ist wie des Königs Wohlgefallen (Spr.19,12), so steht doch der Tau wie die Wurzel dem Wasser gegenüber. Auch wird mit dem Tau der Segen des Himmels erklärt. Sogar „der Überrest Jakobs wird … sein wie ein Tau von Jehova, wie Regenschauer auf das Kraut" (Micha 5,6). Also ist die Fülle Gottes dem Christus Jesus verheißen, nachdem ER in Vers 18 in Seinem Neste verscheiden sollte. Dieser Textvers mag mit dem Wort aus Spr.10,6a abgeschlossen werden: „Dem Haupte des Gerechten werden Segnungen zuteil."

Vers 20: „meine Ehre wird frisch bei mir bleiben, und mein Bogen sich in meiner Hand verjüngen." Als Sohn Gottes hatte ER schon immer eine sehr große Ehre. Nachdem aber das wunderbare Werk am Kreuz geschehen war, erhielt ER (Jesus der Christus) ganz neue Ehre, die ER noch nie hatte. Im Vergleich zur Ehre als Sohn Gottes von Ewigkeit her, war die erworbene neue Ehre vom Kreuz her „frisch"! Diese Ehre soll nicht veralten, sie soll IHM ewig bleiben. Auch will ER Seine Ehre nicht mit anderen teilen. Wie könnte ER auch, wo das Werk Golgathas einzig Seine Sache war. Darum spricht ER in Jes.42,8: „ICH BIN Jehova, das ist mein Name; und meine Ehre gebe ich keinem anderen." Auch dann nicht, wenn wir in Röm.8,32 lesen: „wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken". Sein Leben gab ER für uns hin – Seine Ehre gibt ER keinem anderen! Sein Name Jehova, Seine Ehre und Seine Person sind eine Einheit. Zwar ist durch den Sieg Christi über die Feinde Gottes ein weiterer Zuwachs der Ehre des Lammes angekündigt (Offb.5,12), nicht aber teilt der Herr und gibt diese anderen. Würde der Herr Seine Ehre (ver)teilen, könnte sie nicht frisch bei IHM bleiben! Das Frischbleiben drückt aber auch in

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der Ewigkeit aus, daß jenes Werk des Lammes nie, nie vergessen werden soll. Was unser Herr an uns getan hat, kann auch in den Ewigkeiten weder durch Gedächtnis noch durch Danksagung wieder aufgewogen werden. Wir bleiben unserem Herrn ewiglich Schuldner, denn Seine Gnade können wir uns nie verdienen. Denken wir auch daran, daß der Herr Jesus mit „Ehre gekrönt" worden ist (Hebr.2,7). Diese Ehrenkrönung hängt mit Golgatha zusammen, denn im gleichen Vers ist Seine Erniedrigung unter die Engel angesprochen. Die Ehrenvermehrung hingegen, derer der Herr in Offb.4,11 erachtet wird, finden wir darin, ist, daß Gott Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße legt. Dieser Schemel ist die Erde (Jes.66,1). Zu diesem Zeitpunkt weilt die Gemeinde beim Herrn, während auf der Erde die 70. Jahrwoche abläuft.

Dann heißt es im Textvers: „und mein Bogen sich in meiner Hand verjüngen". Mit dem Bogen haben wir das Gerät des Krieges und des Gerichtes in der Hand des Herrn zu sehen. Dies wird uns besonders in Psalm 7,11-13 gezeigt. In Vers 11 ist gesagt: „Gott ist ein gerechter Richter." Seine Wahrheit ist so vollkommen, daß ER nur als Richter gerecht sein kann. Im nächsten Vers 12 heißt es: „Wenn er (der Gesetzlose) nicht umkehrt, so wetzt (schärft) er sein Schwert; seinen Bogen hat er gespannt und ihn gerichtet." Die Gerechtigkeit Gottes fordert gegen den Gesetzlosen (Verlorenen) das scharfe Schwert und den gezielten Pfeil auf dem Bogen. Und im nächsten Vers 13b lesen wir: „seine Pfeile macht er brennend." Solange Gott mit Seinem Bogen und feurigen Pfeilen Gericht übt, nützt sich dieser Bogen nicht ab, sondern verjüngt sich in Seiner Hand. Gottes Vollkommenheit zeigt Sich auch im Gericht, wie in Ps.45,5 gesagt ist: „Deine Pfeile sind scharf – Völker fallen unter dir – im Herzen der Feinde des Königs" oder: den Feinden des Königs ins Herz. Ja, Gott ist groß, auch im Gericht, wie dies auch der Ps.64,7 ausdrückt: „Aber Gott schießt auf sie – plötzlich kommt ein Pfeil: ihre Wunden sind da." Wer wollte Gott an Seiner Gerechtigkeit hindern? „Und sein Pfeil wird ausfahren wie der Blitz" (Sach.9,14b). Weil sich der Bogen in Seiner Hand verjüngt, wird er am Ende auch am stärksten sein, es ist das Gericht der Lebendi-

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gen oder die 70.Jahrwoche, wo die ganze Milliardenzahl der Menschen im Gericht Gottes umkommen wird bis auf jenen Überrest von 144000.

„Jehova wird ausziehen wie ein Held, wie ein Kriegsmann den Eifer anfachen; er wird einen Schlachruf, ja, ein gellendes Kriegsgeschrei erheben; sich als Held beweisen gegen seine Feinde" (Jes.42,13)

NACHWORT

Es besteht unter Wortauslegern Übereinstimmung darin, daß das Buch Hiob das am schwersten auszulegende aller Bücher der Heiligen Schrift ist. Wie dem auch sei, der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes (1.Kor.2,10). Allein nur die Verbundenheit mit dem Herrn läßt uns dies alles erkennen. Dort wo der Genius des menschlichen Intellekts redet, bleibt der Heilige Geist im Hintergrund.

Nachdem wir die Auslegung Hiob 29,1-20 gelesen haben, dürften wir absolut überführt sein, nicht die Biographie Hiobs, sondern den Herrn Jesus in diesem Kapitel aufgezeigt zu sehen. Für mich (den Schreiber des Heftes), sind die Zwischenüberschriften bei Bibelübersetzungen schon immer ein unguter Brauch. Denn die Wahl solcher nicht in der Schrift der Urtexte vorhandenen Zwischenerklärungen sind immer von der persönlichen Erkenntnis eines Übersetzers abhängig. Und die Schrifterkenntnis ist sehr verschieden, wie wir alle wissen. Darum war ich auch erstaunt, daß alle mir bekannten Übersetzer mit den Zwischenüberschriften diese Weissagung von Kap.29 auf Hiob beziehen. Nur ganz wenige Aussagen lassen sich in unserem Textkapitel überhaupt auf Hiob anwenden. Wir sind dem Herrn sehr dankbar, daß wir das Licht Seines Wortes haben dürfen und geben IHM allein die Ehre für die Auslegung, denn ohne IHN können wir nichts tun.

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Es folgt eine tabellarische Übersicht der zwanzig Verse von Hiob 29 über den Weg Jesu von der Ewigkeit zum Erdenleben, chronologisch. Wir finden in diesen Versen Seine gesegneten Tätigkeiten bis zu Seinem Tode und das Wirken im Gericht.

Vers 1 zeigt uns „im Spruch" die Weissagung über den

Christus Jesus. V. 2+3 zeigen uns die Erinnerung Jesu, als ER noch nicht

im Fleische war. Vers 4 zeigt die Tage Jesu als Reife auf Erden und zuvor

im Himmel.

Vers 5 zeigt den Meister und Seine Jünger auf Erden. Vers 6 zeigt die Bestätigung Seines Dienstes im Reichtum des Geistes.

Vers 7 zeigt den Einzug Jesu in Jerusalem und die Tempelreinigung.

Vers 8 zeigt die Verehrung Jesu durch das Volk. V. 9+10 zeigen die Gespaltenheit zwischen Volk und Schriftgelehrten.

Vers 11 zeigt die Wirkungen des Geistes im Christus. Vers 12 zeigt den Herrn als Helfer und Retter. Vers 13 zeigt die Gemeinschaft zwischen Segnenden und Gesegneten.

Vers 14 zeigt den Herrn in Gerechtigkeit und als Hoherprie-ster.

Vers 15 zeigt den Christus, der Blinde sehend und Lahme gehend macht.

Vers 16 zeigt den Herrn in der Vater-Fürsorge am Dürftigen. Vers 17 zeigt den Herrn als Überwinder des Bösen. Vers 18 zeigt uns Seinen Tod durch die Israeliten. Vers 19 zeigt die Frucht nach dem Todeserleiden Jesu. Vers 20 zeigt die Ehre des Herrn auch im Gericht der 70.Jahrwoche.

Allen Lesern wünschen wir einen bleibenden Segen des Wortes Gottes, aber auch eine tiefe Anregung zur Erforschung der Schriften.

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WEGWEISUNGEN FÜR DAS GLAUBENSLEBEN

Heft 1: Kann ein Kind Gottes verlorengehen?

Heft 2: Aus den Schätzen der Erkenntnis des Geheimnisses Gottes

Heft 3: Das Buch Ruth

 Ein exegetischer Vorgeschmack auf die Perlentore Jerusalems –

Heft 4: Die Brautwerber

 Erbauliches –

Heft 5: Grundlagen-Themen

I. Von neuem geboren

II. Wenn aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werk

Heft 6: Den ER gesetzt hat

zum Erben aller Dinge

Heft 7: Die Handauflegung nach der Schrift (in Vorbereitung)

Heft 8: Und dies ist der Sieg,

der die Welt überwunden hat: unser Glaube

Heft 9: Die Allversöhnungs-Lehre

Heft 10: Auslegung von Hiob 29,1-20

 Wortlehre –

Werner Bergmann

Werner Bergmann

Christa Paasch Werner Bergmann

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